Im Energiemuseum Alzenau: Thomas Seipolt, CEO Nukem Alzenau (links) mit Alfred Reisert, Pensionär des VAK (rechts).
Bildrechte: Katrin Küx BR

Im Energiemuseum Alzenau: Thomas Seipolt, CEO Nukem Alzenau (links) mit Alfred Reisert, Pensionär vom Versuchsatomkraftwerk (rechts).

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Atomkraft ade: AKW-Entsorger Nukem im Fokus

Nach 60 Jahren ist in Deutschland die Ära der Atomenergie vorbei. Von den insgesamt 33 Reaktoren wurden laut Umweltministerium erst drei vollständig rückgebaut. Ein Experte für den Rückbau ist die im unterfränkischen Alzenau ansässige Firma Nukem.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

"Da, wo der Ziegenstall steht, hinter dem Stromumspannwerk, da stand ungefähr die Kuppel." Alfred Reisert deutet in Richtung des Mainufers bei Karlstein im Landkreis Aschaffenburg. Der 84-jährige Mechaniker war als einer der ersten Angestellten dabei, als 1960 an der bayerisch-hessischen Landesgrenze das erste kommerziell genutzte Atomkraftwerk Deutschlands in Betrieb ging: Das Versuchsatomkraftwerk Kahl am Main, kurz VAK.

Erste Erfahrungen im Rückbau

"Hier haben wir wichtige Erfahrungen in Sachen Rückbau sammeln können", sagt Thomas Seipolt. Er ist Geschäftsführer der im unterfränkischen Alzenau ansässigen Firma Nukem, die sich auf den Rückbau und die Entsorgung von radioaktivem Müll spezialisiert hat – weltweit. Inzwischen gehe der Rückbau schneller voran als damals.

Pionierarbeit in doppelter Hinsicht

US-Amerikaner waren es, die im VAK die Fachleute von Morgen geschult haben. Eine Schalttafel von damals hängt im kürzlich eröffneten Energiemuseum, einem ehemaligen Werkstattgebäude des Kraftwerks. Alfred Reisert hat es mit weiteren Pensionären und dem Karlsteiner Geschichtsverein aufgebaut.

"Hier stand der erste deutsche Siedewasserreaktor – das VAK ist gebaut, betrieben und zurückgebaut worden. Wir haben 1985 den Betrieb abgestellt, dann haben wir drei Jahre geplant, ohne was zu machen, die Behörde, der TÜV – alles hat hier gelernt und zwar beim Bau, beim Betrieb und beim Rückbau", so Reisert. "Wir haben Verfahren entwickelt – mit Wasser Stahl schneiden. Die Uni Hannover hat zusammen mit uns ein entsprechendes Gerät entwickelt, unser Reaktor ist damit zerlegt worden!"

Heute geht alles schneller

Der Nukleartechniker Seipolt nickt, ein Verfahren, das heute nicht mehr zum Einsatz kommt: "Das ist nicht Wasser, sondern was da drin ist, ist eine Art Schleifmittel und muss dann als Sonderabfall entsorgt werden. Das Verfahren funktioniert, wird aber nur noch in Einzelfällen angewandt. Der Industriestandard ist thermisches oder mechanisches Sägen. Das ist relativ unromantisch, das sind schlicht Sägen oder Diamant-Seilsägen."

Diese werden nicht manuell im Reaktor, sondern ferngesteuert bedient. Es gibt nicht viele Unternehmen in Deutschland, die sich mit dem Rückbau und dem Entsorgen radioaktiven Materials auskennen. Die Nukem, die inzwischen zu einem russischen Mutterkonzern gehört, ist an zwei Rückbau-Projekten in Deutschland beteiligt. Thomas Seipolt prognostiziert für Kraftwerke wie Grafenrheinfeld oder Isar II in Bayern etwa 15 Jahre Rückbauzeit – je nach anvisiertem Endziel.

Logistik die größte Herausforderung

"Sie müssen den Abfall sortieren, kennzeichnen, irgendwo hinstellen – das ist ein größeres Problem als ihn zu zerlegen!“, sagt der Ingenieur für Nukleartechnik. Seine 120 Mitarbeiter starke Firma kommt beim Rückbau erst spät zum Einsatz. Es dauert allein Jahre, bis die Brennelemente abgeklungen und entladen sind. Nur etwa zehn Prozent des Betons oder Stahls eines AKWs kämen mit Radioaktivität in Berührung. Thomas Seipolt: "Davon können Sie nochmal einen großen Teil dekontaminieren. Also saubermachen, so dass sie ihn anschließend in den normalen Wertstoffkreislauf einspeisen können. Wir reden also von etwa zwei bis drei Prozent, die am Ende in die Endlagerung gehen."

Ein hochradioaktiver Würfel

Insgesamt sind laut Bundesumweltministerium 33 Reaktoren abgeschaltet worden oder befinden sich in Stilllegung. Die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle der deutschen Kernkraftwerke werden einmal im Schacht Konrad in Niedersachsen landen - einem ehemaligen Eisenerzbergwerk. Es ist das erste nach Atomrecht genehmigte Endlager. Der Nukem-Chef rechnet vor. "Das ist, wenn sie es in ein Fußballfeld umrechnen, ein Fußballfeld und darauf 35 Meter hoch die Container gestapelt. Da passen die Hinterlassenschaften aller deutschen Kernkraftwerke rein. Und Brennelemente sind, wenn ich mich recht erinnere, 27.000 Kubikmeter, das ist ein Würfel mit 30 Meter Kantenlänge!"

Ein hochradioaktiver Würfel, in den 60 Jahre deutsche Energieversorgung passen – und den keiner haben will. Die Frage nach einem Endlager hierfür zieht sich schon ewig hin. In diesem Jahrhundert – so Expertenmeinungen – wird sich auch keine Antwort darauf finden. Bis dahin werden die Brennelemente, die in den Eigentum des Bundes übergehen, an den Kraftwerksstandorten gelagert.

Rückbau in Grafenrheinfeld

Im seit 2015 abgeschalteten Kernkraftwerk Grafenrheinfeld im Landkreis Schweinfurt sind bislang von 20.500 Komponenten 13 Prozent demontiert worden. 12.470 der 20.500 Komponenten wurden bereits stillgesetzt und damit irreversibel von der Anlage getrennt. 4.061 von 31.500 Tonnen Material wurden demontiert Die Demontage von nuklearen Teilen in einem Kernkraftwerk ist deutlich komplizierter, als beispielsweise in einem konventionellen Kraftwerk.

Der nukleare Rückbau dauert nach Plan bis Ende 2033. Danach soll der konventionelle Gebäudeabriss folgen. Das soll nochmal zwei Jahre, also bis 2035, dauern. Schon etwa in einem Jahr (Juli 2024) sollen die beiden weithin sichtbaren jeweils 143 Meter hohen Kühltürme gesprengt werden. Das sind wahre "Leuchttürme": Die kann man bei guter Sicht unter anderem bis vom Kreuzberg in der Rhön oder vom Steigerwald, zum Beispiel vom Zabelstein oder vom Schwanberg, sehen.

  • Zum Artikel: Exklusiv: BR24 erhält letzten Einblick in AKW Isar 2

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!